Der vorletzte Tag – NOTIZEN AUS VENTSPILS

Mein letzter Auftritt in der Autorenhaus-Küche, diesmal mit „Himmel und Erde“! Niemand wollte mir ja glauben, dass die Kombination von Äpfeln und Kartoffeln, im Topf zusammengekocht, zu einer Gaumenfreude werden könnte. (Natürlich bedarf es zusätzlich einiger magical secrets). Und dann?
Weggeschlürft wurden der Himmel und die Erde! Und anschließend noch die Baltische Brotsuppe, ein feines Dessert von Ieva.

Hinweggeschlürft haben sich nun auch die vier Wochen. Die Zeit war viel zu kurz, um einen ganzen Roman zu schreiben. Jedoch sind die ersten Kapitel jetzt auf meiner Festplatte …

Das Vertikalklavier – NOTIZEN AUS VENTSPILS

Mit seinem Vertikalklavier verfügt das Konzerthaus von Ventspils über eine Attraktion, die – so sagt man – weltweit ihresgleichen sucht. Das Instrument steht nicht auf der Bühne wie der Steinway, sondern hängt mit seinen bis zu fünf Meter langen Saiten hoch oben an der linken Hallenwand. Beim Konzert am Sonntag kletterte der Pianist Andrejs Osokins die versteckte steile Treppe hinauf und entlockte dem nach unten ausgerichteten Resonanzraum kapriziöse, tongewaltige Überraschungen. Lettische Klaviermusik des 21. Jahrhunderts. Der Applaus nahme kein Ende, drei der Komponisten waren zugegen, einer fasste sich ergriffen ans Herz.

 

The piano – NOTIZEN AUS VENTSPILS

Vor der ehemaligen Kantine eines Hafenbetriebes steht ein Klavier. Ich weiß nicht, ob man es noch so nennen kann. Als Instrument ist es aufgegeben worden, als Malfläche taugte es noch. Es scheint niemandem zu fehlen und auch keinen zu stören.
Seltsam, auf welche Weise Abschied möglich ist.

Der Hafen – NOTIZEN AUS VENTSPILS

Der Hafen von Ventspils ist wie eine Theaterbühne. Ich habe das Gefühl, dem ganzen Geschehen auf voller Länge zuschauen zu können und setze mich eine Weile dem süßlichen Getreide-Grützen-Geruch aus. Zwischen den alten Bretterwänden scheppern Lasten aufeinander. Mein Blick folgt dem Treppauf und Treppab der Verbindungswege, dem Verlauf der Kornrutschen und dem faszinierenden Klappmechanismus der Kranschaufeln. Fast will ich dem Satz wieder Glauben schenken: Es ist alles nur Mechanik.

Der jüdische Friedhof – NOTIZEN AUS VENTSPILS

Einfach so nach Hause radeln, gemeinsam mit dem alten Freund Miłosz, der gerade ins Autorenhaus eingezogen war – mehr hatte ich gestern Nachmittag nicht vor. Wir waren auf dem riesigen Waldfriedhof gewesen, hatten Grabsteine studiert, zwei Tigerschnecken beobachtet und wussten nicht genau, wo wir eigentlich hingeraten waren. Die Wälder südlich der Stadt sind unendlich. Aber weit konnte Ventspils nicht sein.
Plötzlich tauchte links vom Weg, noch mitten im Wald, ein alter jüdischer Friedhof auf …

Themenwechsel – NOTIZEN AUS VENTSPILS

Eigentlich wollte ich über die Straßennamen schreiben, die mir hier ans Herz gehen.
Aber plötzlich mauzte es vor der Zimmertür, und ich ließ den Chef des Hauses ein. Er durchmaß mein Appartement behäbigen Schrittes, hielt meine Yogamatte für seiner würdig und wechselte dann doch auf das kleine Sofa. Kater Watson ist eine Diva. Selten zeigt er seine Krallen. Nun aber hing plötzlich eine fest im Stoffbezug, und er hatte seinen Spaß daran.
Wir kamen ins Gespräch. Schließlich zog er es vor, den Besuch zu beenden. Wenig später hörte ich – durch die Wand – meine Zimmernachbarin entzückt mauzen. Ich glaube, sie hatte Besuch bekommen.

Pumpkin Party – NOTIZEN AUS VENTSPILS

Die Kürbissuppen-Party war seit Tagen angekündigt. Und schon heute früh auf dem Markt stieg bei mir das Adrenalin. Lovage (Liebstöckel) war nämlich nicht zu haben, die Bäuerin mühte sich redlich und ging mit meinem Zettel sogar zur Konkurrenz. Dafür gab es Mengen von Dill und ein paar Tipps. Schwer schleppte ich ins Autorenhaus. Und dann ging es ran an den Speck. Hauptsache heiß, sagte eine der Damen. Na klar, und nicht nur das! Scharf, fruchtig, mit Knoblauch und allem drum und dran. Nur nicht mit Liebstöckel. More please, Nachschlag bitte. Der Topf ist ausgekratzt.
Gundige R. hatte als Dessert einen Mascarpone-Kuchen gebacken, Natalja brachte Wein mit, Gundige G. einen Blumenstrauß und 45prozentigen RIGA Black Balsam. Sowas kenne ich nun also auch.
Was für ein Fest!