Vor der ehemaligen Kantine eines Hafenbetriebes steht ein Klavier. Ich weiß nicht, ob man es noch so nennen kann. Als Instrument ist es aufgegeben worden, als Malfläche taugte es noch. Es scheint niemandem zu fehlen und auch keinen zu stören.
Seltsam, auf welche Weise Abschied möglich ist.
Der Hafen – NOTIZEN AUS VENTSPILS
Der Hafen von Ventspils ist wie eine Theaterbühne. Ich habe das Gefühl, dem ganzen Geschehen auf voller Länge zuschauen zu können und setze mich eine Weile dem süßlichen Getreide-Grützen-Geruch aus. Zwischen den alten Bretterwänden scheppern Lasten aufeinander. Mein Blick folgt dem Treppauf und Treppab der Verbindungswege, dem Verlauf der Kornrutschen und dem faszinierenden Klappmechanismus der Kranschaufeln. Fast will ich dem Satz wieder Glauben schenken: Es ist alles nur Mechanik.
Der jüdische Friedhof – NOTIZEN AUS VENTSPILS
Einfach so nach Hause radeln, gemeinsam mit dem alten Freund Miłosz, der gerade ins Autorenhaus eingezogen war – mehr hatte ich gestern Nachmittag nicht vor. Wir waren auf dem riesigen Waldfriedhof gewesen, hatten Grabsteine studiert, zwei Tigerschnecken beobachtet und wussten nicht genau, wo wir eigentlich hingeraten waren. Die Wälder südlich der Stadt sind unendlich. Aber weit konnte Ventspils nicht sein.
Plötzlich tauchte links vom Weg, noch mitten im Wald, ein alter jüdischer Friedhof auf …
Themenwechsel – NOTIZEN AUS VENTSPILS
Eigentlich wollte ich über die Straßennamen schreiben, die mir hier ans Herz gehen.
Aber plötzlich mauzte es vor der Zimmertür, und ich ließ den Chef des Hauses ein. Er durchmaß mein Appartement behäbigen Schrittes, hielt meine Yogamatte für seiner würdig und wechselte dann doch auf das kleine Sofa. Kater Watson ist eine Diva. Selten zeigt er seine Krallen. Nun aber hing plötzlich eine fest im Stoffbezug, und er hatte seinen Spaß daran.
Wir kamen ins Gespräch. Schließlich zog er es vor, den Besuch zu beenden. Wenig später hörte ich – durch die Wand – meine Zimmernachbarin entzückt mauzen. Ich glaube, sie hatte Besuch bekommen.
Pumpkin Party – NOTIZEN AUS VENTSPILS
Die Kürbissuppen-Party war seit Tagen angekündigt. Und schon heute früh auf dem Markt stieg bei mir das Adrenalin. Lovage (Liebstöckel) war nämlich nicht zu haben, die Bäuerin mühte sich redlich und ging mit meinem Zettel sogar zur Konkurrenz. Dafür gab es Mengen von Dill und ein paar Tipps. Schwer schleppte ich ins Autorenhaus. Und dann ging es ran an den Speck. Hauptsache heiß, sagte eine der Damen. Na klar, und nicht nur das! Scharf, fruchtig, mit Knoblauch und allem drum und dran. Nur nicht mit Liebstöckel. More please, Nachschlag bitte. Der Topf ist ausgekratzt.
Gundige R. hatte als Dessert einen Mascarpone-Kuchen gebacken, Natalja brachte Wein mit, Gundige G. einen Blumenstrauß und 45prozentigen RIGA Black Balsam. Sowas kenne ich nun also auch.
Was für ein Fest!
Große Blümchenkunst – NOTIZEN AUS VENTSPILS
Der Mix aus Blüten, Kunst und Humor in Ventspils ist nicht zu toppen. Ich hatte mich schon fast an die sonderbaren Skulpturen gewöhnt und finde das berühmte Kuh-Projekt eigentlich sogar spannender. Heute aber rauschten vier Blümchen-Rennrodler an mir vorbei, und denen bin ich nun verfallen.
Die Daumen an den Füßen – NOTIZEN AUS VENTSPILS
Der alte Fahrradschlüssel ist weg. Mir passiert sowas. Selten.
Als ich noch schwankte zwischen dem Bedürfnis, jeden Stein umzudrehen und der Not, einen Fahrradladen finden zu müssen, traf ich den Poeten aus Riga. (Er scheint hier zum Serien-Protagonisten meines Blogs zu werden, ist aber inzwischen abgereist. Termine). Jedenfalls guckte er aus dem Stand hier- und dorthin, wurde jedoch nicht fündig. Verluste sind auch ihm ein Greuel, und da ich immer noch ratlos war, versicherte er mir: „I’ll keep all my fingers crossed, even on my feet, too.“
Der Fahrradladen liegt um die Ecke.
Überwasserfotografie – NOTIZEN AUS VENTSPILS
Das Meer lockt. Trotz der vielen Quallen.
Gestern wollte ich den schwebenden Fast-Nichtsen ein bisschen näherkommen. Natürlich mussten die Hände beim Fotografieren immer oben bleiben, eine Unterwasserkamera habe ich nicht. Fokussieren war Glückssache.
Jellyfish klingt irgendwie passender. Und erst recht das lettische medūzas.
Pope – NOTIZEN AUS VENTSPILS
Der Ortsname lässt Assoziationen zu. Es handelt sich um ein ehemaliges Gutsdorf der baltisch-deutschen Adelsfamilie von Behr. Seit 1941 ist im Herrenhaus eine Grundschule eingerichtet. (Abgesehen davon, dass ein paar knallbunte Ranzen an der Buchsbaumhecke gerade der Sonne ausgeliefert sind, ist davon nicht viel zu spüren).
Hinter dem Hügel liegt der alte Adelsfriedhof. Und gegenüber, an der Kirche, habe ich den bisher größten Bovist meines Lebens gefunden.
Die eigentliche Bühne – NOTIZEN AUS VENTSPILS
Gestern schon hatte Zeltīte, eine der guten Seelen des Ventspilshauses, mit einem riesigen Haufen baltischer Heringe zu tun, die gebraten, gesalzen und eingelegt werden mussten. Über Nacht kam ein schwerer Glasdeckel drauf. Alle machten einen respektvollen Bogen um das Werk. Heute war der große Fischtag für das ganze Haus.
Lettisch, Russisch, Ukrainisch, Englisch und einige Momente auch Deutsch wurde an diesem Tisch gesprochen. Es ging um Vorlieben und was jeder so kochen kann. Von mir wird eine Kürbissuppe gewünscht! Genau die, die dem Poeten aus Riga neulich so gut geschmeckt hat. Dann habe ich hier also noch einen kleinen Auftritt … 😉