Im Archiv der Süddeutschen Zeitung ließe sich u. a. dieser Wortsalat-Satz auf’s Papier stempeln:
Ab 9. November =Biographie / Besonderes =Familie. Sammelakte. Kultur. Weltpolitik. Filmende!

Bücher, Texte und Lesungen
Im Archiv der Süddeutschen Zeitung ließe sich u. a. dieser Wortsalat-Satz auf’s Papier stempeln:
Ab 9. November =Biographie / Besonderes =Familie. Sammelakte. Kultur. Weltpolitik. Filmende!
Zunächst traf es mich eher oberflächlich: Wieder ein Leukämiefall – wie schrecklich!
Als mich der Aufruf ein zweites Mal erreichte, erkannte ich auf dem Foto das Gesicht von Friederike, hörte ihr schepperndes Lachen und sah plötzlich den Abgrund. Vor mehr als zwanzig Jahren waren wir uns fast täglich begegnet. Jetzt hatte sich ein Stopp-Schild vor ihre Füße gedrängt.
Ein Schritt weiter oder eine unbedachte Bewegung konnten genügen. So mochte es sich anfühlen.
Mit Knochenmarkspenden hatte ich mich noch nie beschäftigt.
„Mit vollen Segeln für Friederike … Du kannst helfen“ stand auf dem Flyer.
Also zog ich los.
„Mund auf. Stäbchen rein. Spender sein.“
Ein knackiger Spruch.
Es würde schnell gehen. Erstmal.
Noch schneller war ich wieder draußen, weil schon ein wenig zu alt für die Typisierung. Die DKMS macht keine Ausnahmen.
Doch meine Zwillingsschwester – ja, mit identischen Gewebemerkmalen! – wusste Rat. Seit Jahrzehnten registriert, würde sie doch spenden, falls ….
Ja, falls … Irgendwo wird es passen, Friederike!
Möglichst bald.
Brünftige
Rundschwanzseekühe blockieren
die Strände Floridas.
Hier dagegen ist freie
Sicht.
Jetzt, da deine Fächer geleert sind, offenbarst du Narben, alter Schrank.
Du hast über zwanzig Jahre Dinge verborgen, die sonst herumgelegen hätten, und wurdest davor jahrzehntelang im Wartezimmer einer Zahnarztpraxis bestaunt. Doch wer hat vor hundertzwanzig Jahren und noch früher an deinen Griffen gezogen? Welche Kleinigkeiten waren sortiert in der flachen Lade, die jetzt erst die Spuren eines früheren Fächersystems offenbart? Und woher stammt dieses Loch im Filz, ganz am Rand?
Schweigen. So sehr ich auch schnuppere und schaue.
Beim letzten Blick in die dunklen Ecken entdecke ich ein Überbleibsel aus jüngerer Zeit. Eine Foto-Speicherkarte. Die zumindest wird sich entschlüsseln lassen.
Mein Urgroßvater Fritz Mauch (1856-1928) führte eine Gastwirtschaft in Drefahl, hielt etwas Vieh und versteckte hinter seinem Grummel-Schnurrbart reichlich Humor.
Er liebte die kurzen Wege.
Als er im Stall etwas von der Wand herunterholen, aber keinen Schritt zu viel tun wollte, griff er kurzerhand zwischen den Sprossen einer angestellten Leiter hindurch und schrammte sich die Nase blutig.
Da guckten am Abend die Männer am Stammtisch.
Fritz kam ihren Mutmaßungen zuvor: „Ick heff mien Läben lang nich wusst, dat mien Näs länger is as mien Arm.“
In der Fastfood-Zone des Einkaufszentrums gibt es auch Nischen, Zweiertische sogar. An einem solchen lümmelt ein Schuljunge, die Ohren mit Bluetooth-Kopfhörern zugeknöpft. Gebannt starrt er auf sein aufgebocktes Smartphone. Da geht gerade was ab. Entweder wird ein Serienheld abgemurkst oder der Weltuntergang steht bevor. Das Kind ist wie versteinert. Nur seine Hände machen einfach weiter, greifen blind nach links, fingern das obenauf liegende Zelltuch vom Papierserviettenstapel, falten es passgenau und schieben es auf die rechte Seite. Dort ist der Fertig-Haufen schon aus der Form geraten.
Der Imbiss-Laden ist sehr beliebt. Seit sich Kunden Servietten auch für später einstecken, braucht die Chefin ihren Sohn fast jeden Tag nach der Schule. Sie ist froh, dass der Junge flink ist. Soll er doch dabei gucken, was er will.
Man guckt sich fest, will den Gesichtern auf dem Foto etwas entlocken, was sie partout nicht preisgeben können, weil die Familie stillhalten musste. Sonst wäre doch das Bild verwackelt!
Vor ihrem bescheidenen Häuschen hatten sich die Bewohner aufgereiht, fünf Kinder sind dabei, die Mädchen in gestärkten Trägerkleidern. Das ist mehr als hundert Jahre her.
Dieses Foto ist festgeschraubt am Maschendrahtzaun, der eine Brache mitten in Bittkau* umschließt. Sonst ist nichts mehr da, was erzählen könnte von dieser Familie.
Im Ort gibt es zwanzig historische Zaun-Fotos hinter Plexiglas. Da stoppt man sein Fahrrad. Immer wieder.
*Bittkau (Altmark/Sachsen-Anhalt) liegt am Elberadweg.
Im Normalfall klemmt man sich nur seine Violine unters Kinn, streckt den linken Arm auf Geigenhalslänge und lässt die Fingerkuppen auf den Saiten toben, wie es das Herz begehrt oder die Noten vorschreiben. Die rechte Hand streicht dazu mit dem Bogen über die Saiten, legato oder staccato oder sonstwie. Es ist nun mal ein Streichinstrument. Punkt.
Wer aber im Besitz einer Trompetengeige ist, kann sie sich auch vom Hals reißen und andersherum an die Lippen führen, um über das winzige Mundstück an der Schnecke einen Ton zu blasen.
Keine Ahnung, wie das klingt, wie das aussieht, wohin mit dem Bogen – und wie das Instrument in einen Geigenkasten passen soll.
Ein Kuriosum.
Diese Stimme! Da sehe ich gleich das Cover der alten Hui-Buh-Schallplatte aus den 70er Jahren vor mir. Das kopflose Schlossgespenst verjagt die Gräfin Etepetete mit seiner rostigen Rasselkette und mit viel Geheule. Und ich saß damals als kleines Mädchen unterm Tisch. Die Decke hing nur so weit herunter, dass das Licht noch reichte für Gruselmomente mit dem Plattencover.
Hans Clarin.
Im Radio habe ich ihn nun wiedergehört – Am Morgen vorgelesen – mit der „Farm der Tiere“ von George Orwell. Obwohl Schwein Quiekschnauz kein Gespenst ist und die Fabel beklemmend aktuell, sehne ich mich plötzlich wohlig nach einer Tasse heißen Kakao ohne Pelle, für die ich damals immer unter dem Tisch hervorkriechen musste wegen der Schweinerei, die niemand riskieren wollte.