Der blinde Passagier. Eine Brottaschen-Überraschung

Fast alle Schweriner Kindergarten-Kinder der 70er Jahre hängten sich morgens eine lederne Brottasche mit Trageriemen um den Hals. Mehr als zwei Stullen passten eigentlich nicht hinein. Zugemacht und fertig. Am kippbaren Drehverschluss, der genau durch den Klappenschlitz passte, fingerte es sich unterwegs immer schön herum.
Jule hatte auch so eine Brottasche. Wenn alle Kinder am Tisch saßen, wurde ausgepackt. Arglos sah sie zu, wie einmal die Erzieherin Jules Frühstücksbrot aus dem Täschchen zog. Hoppla! Purzelte doch ein kleines Mainzelmännchen hinterher, das Jule heimlich dazugesteckt hatte. Es war sogar bunt! Nicht so grau-schwarz wie im Fernsehen! Von den Mainzer Verwandten.

Jule bekam gar nicht mit, wie erschrocken die Erzieherin darüber war: Das Westfernsehen hatte Einzug in Jules Proviantgepäck gehalten. Und Jule war eine Lehrerstochter! Wo war da die Vorbildwirkung?
Später darauf angesprochen, versprach die Mutter: „Kommt nicht wieder vor!“
Fortan gab es in Jules Brottasche keine wirklichen Überraschungen mehr.