Pope – NOTIZEN AUS VENTSPILS

Der Ortsname lässt Assoziationen zu. Es handelt sich um ein ehemaliges Gutsdorf der baltisch-deutschen Adelsfamilie von Behr. Seit 1941 ist im Herrenhaus eine Grundschule eingerichtet. (Abgesehen davon, dass ein paar knallbunte Ranzen an der Buchsbaumhecke gerade der Sonne ausgeliefert sind, ist davon nicht viel zu spüren).
Hinter dem Hügel liegt der alte Adelsfriedhof. Und gegenüber, an der Kirche, habe ich den bisher größten Bovist meines Lebens gefunden.

 

Die eigentliche Bühne – NOTIZEN AUS VENTSPILS

Gestern schon hatte Zeltīte, eine der guten Seelen des Ventspilshauses, mit einem riesigen Haufen baltischer Heringe zu tun, die gebraten, gesalzen und eingelegt werden mussten. Über Nacht kam ein schwerer Glasdeckel drauf. Alle machten einen respektvollen Bogen um das Werk. Heute war der große Fischtag für das ganze Haus.
Lettisch, Russisch, Ukrainisch, Englisch und einige Momente auch Deutsch wurde an diesem Tisch gesprochen. Es ging um Vorlieben und was jeder so kochen kann. Von mir wird eine Kürbissuppe gewünscht! Genau die, die dem Poeten aus Riga neulich so gut geschmeckt hat. Dann habe ich hier also noch einen kleinen Auftritt … 😉

Kap Kolka – NOTIZEN AUS VENTSPILS

Am Kap Kolka, dem nördlichsten Zipfel des Kurlandes, schwappen die Wellen der offenen Ostsee seitwärts in die Strömung aus der Rigaer Bucht. Ein magischer Ort. Rechts vom Knick säumen Baumstämme wie Mikadostäbe den Strand. Ich suche mir einen blanken aus, lass die Schaumkronen kommen und erwarte die livländischen Wassergeister.
Ob sie sich bemerkbar machen werden?
Und falls ja – wie wohl?
Vielleicht begegne ich ihnen besser im Liegen?
Die Entwurzelten kippen im jetzt anderen Blickwinkel nach vorn, und die Meergeräusche klingen anders.
Augen zu.
Einatmen.
Ausatmen.
* * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * *
Da kommt doch was? Viereckig … statisch … vor dem inneren Auge?
Ein Monitor. Eine Dateistruktur. Der letzte Satz von gestern. –
Okay.  Ich lass‘ das gelten.

aber nicht damit – NOTIZEN AUS VENTSPILS

Der Poet aus Riga hat mir seine ins Deutsche übersetzten Gedichte in mein Fach gelegt. (Sitzt er also doch nicht nur herum und trinkt Kaffee!)
Der Buchtitel „aber nicht damit“ erinnert mich an meinen Wickendorfer Werklehrer. Irgendwie passt das tatsächlich. Doch nur für ein erstes Schmunzeln …
Ich könnte mich revanchieren, weil in der hiesigen Bibliothek auch Bücher der Haus-Stipendiaten aufgereiht sind. Aber meine sind nicht übersetzt.
Also reden wir nur, wetzen dabei in der Küche die Messer und stürzen uns dann auf meine Suppe und seinen Tomatensalat.

Das Autorenhaus in Ventspils/Lettland

Als kehrte ich in einen Traum zurück. Das Tintenfass mit den drei Schreibfedern neigt sich einladend: Na, komm schon. Und bleib. Vier Wochen. Tauch ein hier.
Hauskater Watson ist sofort zur Stelle und mauzt hochtönig wie ein Katzenbaby. Natürlich erkennt er mich wieder. Was sind schon drei Jahre?
Hof und Garten gehen ineinander über, ein Poet aus Riga nutzt die letzte Sonne. Nein, ich würde überhaupt nicht stören. Meist sitze er sowieso nur herum, trinke Kaffee und lese.
Wie wunderbar. Das nimmt den Druck.

Also, ehrlich jetzt mal …

Die Farbwechsellampe unter den Saunabänken hat einen Wackelkontakt. Das stört, auch mit geschlossenen Augen.
„Das geht jetzt keiner ausmachen“, seufzt eine Dame, „das ist viel zu heiß unten am Schalter.“
Sonst herrscht immer Stille in der Zelle.
„Wenn ich ehrlich bin, hätten die das längst merken können“, schiebt sie nach, „beim Aufguss nämlich.“ Sie richtet sich auf und dreht eine Sanduhr um, das hatte sie vorhin vergessen.
Rotblitz. Gelblicht. Weißblitz. Gelblicht. Rotblitz.
„Aber die Leute meckern ja immer! Man muss sich auch mal arrangieren können!“ Sie justiert ihre Kopfstütze neu am Handtuch-Rand.
„Nachher vorne Bescheid sagen, dann werden die schon was machen!“
Blitz! … … …  Blitz! … … … Blitz!
Sie rutscht unruhig hin und her auf ihrem Sauna-Tuch und fasst zusammen:
„Also, ganz ehrlich, die Leute regen sich immer zu schnell auf!“

Nachbarschaftshilfe

Drei Männer mit großen Keschern schleichen durch das Wäldchen. Dabei gibt es dort eigentlich  kaum Schmetterlinge. Sind es vielleicht Insektenforscher? Klar, Entomologen! Die kartieren jeden Käfer, und besonders seltene kommen aufgespießt in einen Rahmen hinter Glas.
Ameisen sehe ich dort regelmäßig, braune Schnecken, Eichhörnchen und manchmal Rehe. Keine übliche Kescher-Beute.
Aber ich habe ja auch keine Ahnung.
Eine Stunde später lässt sich alles im Internet recherchieren.
Im Zoo war das Pfauen-Pärchen ausgebüxt. Den drei Tierpflegern sei es nicht ins Netz gegangen, ein Nachbar lockte die beiden in seine Garage.
Tor zu.
Anruf beim Zoo.
Ein Händedruck unter Männern.

SAMSUNG & Co.

Damals, als Studentin, stand ich oft auf meinem U-Bahnsteig in Berlin und vertrieb mir die Wartezeit damit, nach Mäusen im Gleisbett zu suchen. Mein Blick war so auf den starren Schotter gerichtet, dass mir keine Bewegung im nächsten  Fünf-Meter-Abschnitt entging. Scheuklappen und Maus-Fokus.  Irgendwann zuckte ein vermeintliches Steinchen, trippelte an der Kante entlang und flitzte davon. Ab in die noch tiefere Unterwelt. Hin und wieder habe ich eine Ratte gesehen. Das war mir schon zuviel. Inzwischen weiß ich, dass etwa halb so viele Ratten wie Menschen in Berlin leben.

Aber: Heutzutage schaut in der Wartezeit kaum noch jemand ins Gleisbett.

Everything you need

Manchmal braucht man einen besonderen Ort, um ein Gedicht zu schreiben, ein zoom meeting zu überstehen oder zu sich selbst zu finden. Kann ja sein, dass dafür ein workspace genau richtig ist. Den gibt es nun auch als tiny house.
Sogar mitten in Berlin.
Am Bahnhof Zoo.  Wo der Bär steppt:

Immerhin ist auf der Schwelle sogar ein Nickerchen möglich.

Tagespflege

Auf dem Tisch steht ein kleines Planschbecken, in dem Plaste-Enten auf dem Wasser hin und her wackeln. Jede Ente hat einen Ring auf dem Kopf. Um den Tisch herum sitzen fünf alte Damen mit Angeln. Vieles in ihrem Leben haben sie längst vergessen, erst recht, welcher Tag gerade ist. Aber dass dies ein Kinderspiel sein muss, ist ihnen klar. So ein Quatsch.
Wer die meisten Enten angelt, hat gewonnen.
Kikifax.
Aber wozu sich sträuben.
Sieht ja keiner.
Sie lassen sich von der Pflegerin nochmal zeigen, wie das geht mit der Angel – und zack, greift deren Haken in den Entenring.
Jetzt jede für sich.
Eine der Damen peilt mit der Angel ein Entchen an. Putt-putt-putt … Das Viech hört nicht. Nochmal. Der Haken pendelt vorbei. Erst links. Dann rechts, herrjeee. An irgendetwas fühlt sich die Frau erinnert. Das war genauso fummelig. Einfädeln, natürlich. Sie müsste ein bisschen nachhelfen mit der Hand, aber das zählte bei der gegenüber auch nicht.
Jetzt.
Die Ente hängt.
Sie tropft.
Ein Punkt.
Was für ein Spaß!