Vorahnung künftiger Verluste

Seit Vera den Kassierer nur durch eine Spuckschutzwand sieht, bezahlt sie alles mit Karte. An Scheine und Kleingeld ist sie gar nicht mehr gewöhnt. Trotzdem wird ihr altes Portmonee immer dicker, es gerät allmählich aus der Form, die offenen Fächer spreizen sich schon. Vera muss  aufpassen, dass sie nichts verliert.
Während Bananen, Milch, Schokolade, Möhren, Jogurt und Toilettenpapier auf dem Förderband an ihr vorbeiruckeln, nimmt sie sich zum hundertsten Mal vor, die Geldbörse einmal richtig auszuräumen. Verblichene Kassenzettel, Stempel-Treuekarten, Kundenbelege, abgelaufene Taschenkalender und vergessene Visitenkarten – alles müsste sie einmal kritisch durchsehen.
„Haben Sie eine Kundenkarte?“
Vera schüttelt den Kopf. Hier nun gerade nicht.
Geheimzahl. Bestätigen. Fertig. Beutel raus. Die Milch zuerst.
Ach, die EC-Karte muss sie noch schnell zurückstecken. Aber wirklich schnell. Der Kunde hinter ihr packt auch bereits ein.
Sie hat das Gefühl, den Betrieb aufzuhalten. Als das Toilettenpapier unter ihrem Arm Halt gefunden hat und der Einkaufswagen weggerollt ist, tippt sie jemand an. „Gehört das Ihnen?“
Vera starrt auf das Passfoto ihres Sohnes, er war damals zehn.
Wie viel ihr doch dieses Bild bedeutet. Sie hatte es also verloren!

Dankbar nickt sie und steckt es weg. Woanders hin. Vorerst.