Längenmessung

Diese höllisch entzündete Zahnwurzel liegt ganz weit weg, sage ich mir. Seit der Injektion gehört sie nicht mehr zu mir. Das über meine Mundhöhle gespannte Gummihäutchen, der riesige Patienten-Latz, unter dem auch meine Hände verborgen sind, und meine geschlossenen Augenlider wirken wie ein dreifacher eiserner Vorhang. Rechts und links spüre ich zwar die Nähe von Arzt und Schwester, dennoch sind sie in einer anderen Welt.
Betäubt und geborgen nehme ich manchmal das Arbeitslicht an der Dentistenbrille wahr.
Piiiiieeep-piiiieeep-piiiieeep. Piep! Piep! Piep!  Die Signale werden immer kürzer, gehen schließlich ineinander über. Woran erinnert mich das?
Piiiiiiiiiiiiiiiiieeeeeeeeeeeeeep im Dauerton.
Der Arzt flüstert ein paar Ziffern, feilt, bohrt, lässt spülen und pusten.
Er hatte mir anfangs versprochen, zu erzählen, was er gerade macht.
„Impedanzmessung.“
Ich wiederhole das Wort im Stillen.
„Das ist wie beim Einparken“, lacht die Schwester.
Genau!
„Das gleiche Prinzip zumindest“, sagt er. „Man misst die Veränderung des elektrischen Widerstands.“ Er schmirgelt ein wenig. „Und so kriegen wir hier die exakte Länge des Wurzelkanals.“
„Und beim Dauerton ist man am Ende,“ weiß sie.
„Beim Rückwärtsfahren aber nicht. Einmal aussteigen und gucken! Da ist noch Spielraum.“
So richtig nicht, möchte ich widersprechen. Erinnere ich mich doch an das eingestürzte Vorgartenmäuerchen von einst! Bitter war das.
Aber ich hab hier nichts zu sagen.