Die Rettung im Verschweigen. Ein Interview mit der SVZ

Wie ein vierwöchiges Künstlerstipendium in Kaliningrad den neuen Roman der Schweriner Autorin Katrin SobothaHeidelk beflügelte

Ein Stipendium des Künstlerhauses Lukas in Ahrenshoop erlaubte es der Schweriner Autorin Katrin SobothaHeidelk unlängst, einen Monat lang in der russischen Stadt Kaliningrad an ihrem neuen Roman mit dem Arbeitstitel „Das Schweigen“ zu arbeiten. Holger Kankel sprach mit der Autorin.

Warum haben Sie sich für das Stipendium in Kaliningrad beworben?

Der Roman spielt im Deutschland der Nachkriegszeit, in Mecklenburg und Vorpommern, in Schwerin und Berlin. Beginnt aber in Königsberg. Ich konnte in Kaliningrad recherchieren, die Handlung des Romans setzt Weihnachten 1942 ein und führt im Epilog bis ins Deutschland des Jahres 2016. Vor der Reise habe ich über Kaliningrad nur auf der Basis von Recherchen geschrieben. Vor Ort konnte ich vieles mit eigenen Augen sehen, mit Leuten reden, in Archiven arbeiten. So hat Königsberg für mich eine ganz andere Dimension bekommen. Und ich konnte endlich einmal vier Wochen hintereinander ungestört schreiben und nicht wie sonst nur an meinem freien Nachmittag, abends oder im Urlaub.

Wollen Sie schon verraten, worum es in Ihrem Roman geht?

Obwohl die Geschichte im Grunde fiktiv ist, beruht sie auf den Erinnerungen einer älteren Bekannten von mir. Sie musste als Achtjährige mit ihrer Großmutter aus Königsberg fliehen, hat Flucht und das Nichtwillkommensein in Deutschland erlebt. Aber Großmutter, Mutter und Enkelin reden über das Vergangene nicht. Schweigen und Verdrängen sind in dieser Familie zur Überlebensstrategie geworden. Elsa, meine Heldin, schläft als 17-Jährige mit ihrer Mutter in einem Bett, merkt aber nicht, dass diese schwanger ist. Der Vater ist noch in Gefangenschaft. Das Kind, ihre Schwester also, wird zur Adoption freigegeben und nie erwähnt. Erst später taucht sie wieder auf.
Es geht auch um das Gefühl des Unsichtbarwerdens, das ein Leben lang an Elsa klebt. Auf der Flucht war es überlebenswichtig, sich zu verstecken und nicht gesehen zu werden, auch als unwillkommener Flüchtling sollte man besser nicht auffallen. Selbst Elsas erste Liebe musste geheim bleiben. Erst nach und nach lernt sie, wieder sichtbar zu werden.

Wie weit sind Sie mit dem Roman, gibt es schon einen Verlag?

Ich habe zwei Jahre an dem Roman geschrieben, Ende Dezember müsste ich fertig sein. Ich bin bereits mit Verlagen im Gespräch.

Was hat Ihnen an Kaliningrad, dem alten, ostpreußisch geprägten Königsberg, gefallen und was eher nicht?

Die Stadt ist anfangs sehr spröde, geprägt von ruinösen Plattenbauten aus der Sowjetzeit. Deutsches gibt es, bis auf das Grab Immanuel Kants, kaum noch.
Am schönsten waren die Begegnungen mit Kaliningradern. Die Zoodirektorin hat mir z. B. erzählt, dass viele Tiere im Krieg zu Bauern aufs Land gebracht wurden. Der Königsberger Tiergarten war früher einer der mondänsten Vergnügungsparks Europas. Am Ende des Krieges hatten von über 700 Tieren nur ein Damhirsch, ein Dachs, ein Esel und ein schwer verletztes Nilpferd überlebt. Im Roman nimmt eine der Nebenfiguren ein Zootier auf – ein Mähnenschaf.
Es gab Konzerte im Dom, in meiner Zeit dort fand auch ein viertägiges Dokfilmfestival statt. Ansonsten habe ich, wie gesagt, recherchiert und jeden Tag geschrieben.