Fünfzig Zimmer

Das Hotel, ein Labyrinth aus Gängen, Treppchen und Seitenflügeln, hat fünfzig Zimmer. Nur eines ist vermietet. Melanie hatte schon am Nachmittag für eine Übernachtung eingecheckt. In der Dämmerung kam sie nun aus der Stadt zurück und öffnete mit dem dickeren der beiden Schlüssel die Eingangstür. Die Rezeption lag im Dunkeln. Der erste Lichtschalter, den Melanie fand, reagierte nicht. Auch der an der Treppe ließ sie im Stich, vermutlich gehörte er zum selben Schaltkreis.
War der Chef in seinem Büro? Sie klinkte die Tür zu einer dunklen Raucherhöhle auf und zog sie schnell wieder zu.
Vorsichtig tappte sie die Stufen hinauf und gelangte auf einen Flur, an dessen offenen Zimmertüren sie die Nummern nicht erkennen konnte. Alle Betten waren unbezogen. Treppab kam sie an einem Ficus vorbei, der ihr am Nachmittag schon aufgefallen war. Im nächsten Gang ließ sich das Licht anschalten, welch ein Wunder. Sie fand das Zimmer 42 und versuchte, sich wie ein ganz normaler Hotelgast zu fühlen.
„Es gibt kaum noch Geschäftsreisende“, klagte der Chef am nächsten Morgen. Alles werde jetzt teurer. Sein Vater hätte das Hotel in den 50er Jahren gebaut und immer wieder erweitert. Die goldenen Zeiten seien vorbei, seit Corona erst recht. Aber verkaufen werde er nicht!
„Das Hotel ist mein Leben“, flüsterte er in die Stille.
„Und wenn niemand mehr kommt?“, fragte Melanie.
„Auch dann!“