Ein sicherer Job

So eine schöne Party! Fröhliche Gesichter. Schmalzstullen wie früher.
Auch Ulli ist dabei, der lustige Schnacker, der schon so viele Autos verkauft hat.
Wir prosten uns zu. Lange nicht gesehen.
Ja, er müsse immer sehr früh raus. Um sechs stehe er am Panzer.
Am Panzer?
Ja, Marder. Er repariere die jetzt.
Wenn es um Waffen geht, wird mir immer eiskalt, und ich möchte „Stopp!“ schreien oder „Frieden!“
Passt gerade nicht.
Ob er nicht traurig sei, dass er nur mit Kriegszeugs zu tun habe?
Ulli nickt. Dann strafft er sich: „Aber es ist öffentlicher Dienst.“

町の新しい Neu in der Stadt

Der Englischkurs fängt neu an.
Neue Gesichter.
Ein neues Buch.
Auch M. ist neu. Den bringt die Fremdsprachen-Fachbereichsleiterin, die schnell alles Neue ansagen muss, gleich mit in die Klasse. Stand er doch so ratlos auf dem Flur!
Also – rein hier!
„Sind Sie denn angemeldet?“, fragt die Englischlehrerin.
M. nickt und setzt sich ganz nach hinten.
Damit alle Neuen schnell nicht mehr fremd sind, gibt es eine Vorstellungsrunde. Jeder schreibt einiges über sich selbst auf einen Zettel. Ein anderer muss das dann entziffern und gut verpacken. Auf Englisch natürlich. Das ist lustig. Es dauert auch ein bisschen. Momente später kennt man sich sowieso. Weil die Stadt so klein ist.
Nur M., der ganz sicher aus Asien kommt, hat alles auf Deutsch notiert.
Schließlich will er das mal perfekt können. Jetzt ahnt er jedoch, dass er sich in der Tür geirrt hat. Ähm, wer nochmal hatte sich geirrt?
Nebenan ist sein Deutschkurs. Ein anderer Fachbereich wohl.

Schnell ist er weg. Sein Zettel bleibt liegen.
G. übersetzt ins Englische. Nun wissen wir sogar auch ein bisschen über M., einem japanischen Gourmetkoch, von dem in der Stadt noch die Rede sein wird.

Wer ist schon normal?

Theo hatte ein Seminar in Bonn. Genau in der Karnevalswoche.
Es war zur Sache und unter die Haut gegangen.
Also zog es ihn an den Rhein zum Spazieren und zum Abschalten. Hier war sogar schon Frühling.
Auf der Rückfahrt im Bus war er von Narren und Jecken umgeben. Reichlich angeschickert saß ihm eine Funkenmarie mit viel Dekolleté gegenüber. Sie lallte aufgekratzt in ihr Telefon.
Als sie sich schwankend erhob, machte sich Theo ganz schmal. Nicht, dass ihr jetzt schlecht wurde!
Theo hielt nun mal nix von Karneval.
Womöglich war er hier der einzige Normale.
Wie sie ihn ansah beim Aussteigen!
„Hach, der Theo …!“, seufzte sie schmachtend.
Was es alles gab! So hieß er doch wirklich!

Nach einem schweren Atemzug hatte Theo sich wieder gefangen und fummelte das Namensschild von seinem Pullover.

Mittagspause

Der Bäcker bietet auch einen kleinen Mittagsimbiss an. Alle Tische sind besetzt, die Wartenden stehen in Doppelreihen. Da flitzt ein Mütterchen von der Straße in den Laden, huscht an den Leuten vorbei, studiert die von der Decke hängende Werbung – Neu! Knolli, Kraut und Schinken – Ran an die Knollis! – inspiziert die ausgelegten Mettbrötchen mit Gurke, die Stadt- und die Roggenkrosser, schlurft am Kuchenangebot entlang und dreht eine Runde durch den Gastraum. Die Leute lächeln zurück, kauen weiter, niemand hat einen Platz neben sich frei. Den braucht die Frau auch gar nicht. An der Ladentür dreht sie sich nochmal um und murmelt:
„Man muss nicht immer essen.“

Fixbus

Zwölf Kraniche.
Rehe.
Ein Mäusebussard.
Tropfenflüsse huschen über die Scheiben.
Acht Reisende.
Der Fahrer pult sich im rechten Ohr. Immer wieder. Auch beim Spurwechsel. Dann auf gleicher Höhe – ein LKW, ewig. Wie seitlich angeschraubt.
Der Busfahrer kratzt sich, er braucht das. Dann gibt er Gas.
Was für ein fixer Fixbus das doch wird, der Lastwagen gibt nach. Auf seinem Container steht Towards a more sustainable future.

Wartezeiten

An der Fußgängerampel steht ein blasser Mann mit zwei blassen großen Hunden.
Ich mache einen Bogen um die Tiere und attackiere den Schalter für den Ampelbetrieb. Dabei hatte der Mann bestimmt schon gedrückt.
Knall-knall-knall-knall, scheppert die Mechanik.
„Davon geht’s auch nicht schneller“, sagt der Mann.
„Doch, das hat mir mal jemand erzählt“, sage ich.
„Stimmt aber nicht“, erwidert er, „ich hab‘ das nämlich programmiert!“
Ja, er sieht aus wie einer mit Informatikstudium.
„Auch die Anlage da vorn. Und die an der Chaussee“, schiebt er noch hinterher.
Grün. Die Hunde trotten los.

Ich weiß jetzt, wem ich meine täglichen Warteminuten zu verdanken habe.

Am Büchertisch

Käthchen Kruse-Federkiel wartet in der Schlange der Autoren darauf, ihr Belegexemplar ausgehändigt zu bekommen. Durch Zufall gelangte einer ihrer Artikel in ein wissenschaftliches Jahrbuch. Dabei ist Altertumskunde gar nicht so richtig ihr Fachgebiet. Egal. Es hat einen Festvortrag und Würdigungen gegeben, die Stimmung ist heiter.
Der Schatzmeister des Vereins findet Käthchen in der Autorenliste, zeigt mit dem Finger auf sie und hebt bedeutungsvoll die Stimme:
„Ich kenne Ihren Ex !“
„Oh, wer ist denn mein Ex?“
An solchen Irrtümern hat sie ihre Freude.
„Na, Herr Federkiel …“
„Das ist mein Mann.“
Ein Doppelname führt manchmal zu Verwechslungen, wenn ein Bestandteil früher anderswo vorgesetzt oder angehängt worden war. Sowas passiert auch in der Altertumskunde. Der Schatzmeister jedenfalls scheint bei den Federkiels seit Jahrzehnten nicht auf dem Laufenden zu sein.
„Ich glaube, Sie kennen die Ex meines Mannes“, klärt Käthchen auf, denn das ist sogar wahrscheinlich.

Käthchen Kruse-Federkiel mag am liebsten die Fettnäpfe, in die sie nicht selbst hineingetreten ist.

 

 

Glück gehabt

Als ich nach dem Silvesterspaziergang den Haustürschlüssel in der Jackentasche suchte, stellte ich fest, dass ich mein Smartphone verloren hatte. Stumm geschaltet. Niemand würde ein Klingeln hören.
Der Moment schmeckte nach Abschied und einer anrollenden Panik, die sich schnell ins Unfassbare steigern konnte. Meine Kontakte. Meine Termine. Meine Fotos. Meine Daten. So lange es noch hell war, musste ich das Handy wiederfinden!
Im Lichtkegel der Fahrradlampe tauchte es nicht auf. Am See auch nicht.
Zurück am Schreibtisch wechselte ich in einen hektischen Pragmatismus, während das Teewasser kochte, obwohl mir gerade jetzt nicht nach Tee und Keksen war.
Ihm schon.
Kauend fand er heraus, wie man online ein Klingeln auf einem verlorenen Smartphone erzeugen kann. Nach elf Sekunden musste jemand rangegangen sein. Jetzt gleich nochmal. Über das Festnetz!
„Hallo?“, sagte eine Frau.
Eine Glückswelle ließ meine Stimme ganz schrill werden.
Wir radelten unter dem Regen hindurch. Die Frau sollte eine gelbe Jacke tragen. Es war so einfach!

Ein paar Nachrichten waren eingegangen. Glück-Wünsche für das neue Jahr!

Weihnachten! 2022!

Das Jahr hat heftig ausgeteilt,
doch just beim Kerzenschein
stellt sich, gesättigt und beschenkt,
die Zeit der milden Rückschau ein.

Was hatten wir schon auszusteh’n?
Die Zimmer sind geheizt.
Am Braten und am Gabentisch
wurde nicht gegeizt.

Alle Jahre wieder …
was denn sonst, mein Kind,
die Zeitenwende gilt doch nicht,
wenn wir beim Feiern sind!?

ksh

Briefe im alten Koffer

Verblasst und verschlossen. Doch immerhin aufgehoben.
Sie hat sich schon oft vorgenommen, die Briefe-Stapel im Koffer einmal durchzusehen und die Post, die ihr nichts mehr bedeutet, auszusortieren. Das hieße also: wegwerfen. Der Papierkorb steht bereit.
Sobald sie einen der einst eilig aufgerissenen Umschläge geöffnet hat und den Bogen entfaltet, bleibt sie hängen und fühlt nach.
Was sind schon dreißig Jahre?
Aus manchen Kuverts zieht sie Fotos, die sie woanders hätte aufheben sollen, damit sie ihr häufiger in die Hände geraten wären. Die Bilder mit Petra und dem Professor in Rom zum Beispiel.
Längst ist er tot. Inzwischen hat sie bald sein Alter von damals erreicht. Unglaublich. Sie drapiert die Fotos und knipst die Auswahl mit dem Handy.
Briefe schreibt sie sich kaum noch mit Petra. Per signal geht es schneller.
„Wie jung wir doch waren. Neulich noch!“, kommt Minuten später zurück.
Oh ja. Und schon gibt es wieder eine kleine Korrespondenz – auf eine Weise, die in keinem Koffer Platz findet.